Harald Fux, der seit über 20 Jahren gemeinsam mit seiner Partnerin Christine Diethör das in Wien ansässige Büro Raumkunst führt, hat schon als junger Architekt kurz nach Studienabschluss seine planerische Kompetenz am Stadionbau geschult. Die gut 25 Jahre Erfahrung im Planen, Entwerfen und Bauen von Sportkomplexen und Freizeitanlagen kam seinem jüngsten Vorzeigeprojekt zugute. Zudem ist Fux Österreich-Präsident des IAKS, der International Association for Sports and Leisure Facilites, die sich seit Jahrzehnten mit dem Sportstättenbau befasst und für internationale Vernetzung sorgt. Die hitzigen Diskussionen, die mit nahezu allen Großprojekten einhergehen, hatten vor Baubeginn auch den Prozess um die Raiffeisen Arena erfasst, die nun nach rund zweijähriger Bauzeit am 24. Februar 2023 mit dem Spiel des LASK gg Austria Lustenau eröffnet wird.
Erst war die Standortwahl Gegenstand der Debatte, später jene der Finanzierung. Doch die architektonische Kernaufgabe blieb davon unberührt. Es ging darum, die Grundfunktion eines Stadions umzusetzen. Genau dieses Wissen, wie Tribünen und Abläufe funktionieren, schuf für Fux und sein Planungsteam den entsprechenden Freiraum, eine individuelle Form und Lösungen für die komplexen Wechselwirkungen zu finden, die diese konkrete Sportstätte mit sich bringt. „Ein Stadion ist ein USP für eine Stadt und mit diesem Bewusstsein muss der Planer an diese Aufgabe herangehen“, formuliert Fux die Quintessenz. Jetzt funkelt ein an einen Diamanten erinnernder Baukörper auf der Linzer Gugl, wo 1958 das historische Stadion mit seiner Laufbahn eröffnet wurde.
„Die Tradition des Ortes verpflichtet schließlich. Linz hat für mich immer eine hohe Modernität ausgestrahlt. Mit der Ars Electronica, dem Lentos Museum oder dem Brucknerhaus verfügt die Stadt über ein ganzes Ensemble an architektonischer Avantgarde“, fasst der im oberösterreichischen Freistadt geborene Experte für Arenen die Ausgangssituation zusammen. „Als Industriestadt war es naheliegend, auch in der Materialität des Baus dieses Vokabular aufzugreifen und die technischen Möglichkeiten auszureizen.“
Das zeigt sich insbesondere am Dach, das durch eine kompakte Aluminium-Hülle besticht. Hier greifen Tassen ineinander, die eine geringe Materialstärke aufweisen und gleichzeitig dank der U-Form verlässliche Stabilität bieten. So entsteht Geschlossenheit, die Leichtigkeit bewahrt. „Es ist eine komplexe Geometrie. Schließlich muss etwa das Wasser von oben nach unten laufen und entsprechend abgegriffen werden. Gleichzeitig soll die Dachuntersicht als Trichter wirken, um den Resonanzkörper intern zu verteilen und zu halten.“ Das Beispiel veranschaulicht, dass Stadien oft mit großen Interessensgegensätzen konfrontiert sind: Wer möchte beispielsweise nicht durch die Fangesänge getragen werden, aber gleichzeitig an persönlicher Sicherheit und Behaglichkeit keine Einbußen erleiden?
Einst befand sich auf der Gugl eine Ziegelgrube. Aufgrund der großen innerstädtischen Fläche und der günstigen Bebauungsvoraussetzungen schuf man einen Sportplatz. Durch die Turm- und Freizeit-Bewegung war es einst üblich, Leichtathletik mit Ballsport wie Fußball zu kombinieren. Bis heute sichtbarer Beleg dafür ist das Wiener Ernst-Happel-Stadion. Auch in Linz haderte man lange mit dem durch die Laufbahn entstandenen enormen Abstand von den Tribünen zum heiligen Rasen. Erst mit dem Ende des jahrelang für Aufsehen sorgenden Leichtathletik-Meetings 2015 wurde aus dem Multifunktionsstadion eines, das praktisch ausschließlich für Fußball genutzt wurde.
Die Entscheidung, die unliebsamen Laufbahnen loszuwerden, gärte einige Jahre. „Es ist bedauerlich, weil ich auch der Leichtathletik zugetan bin, so habe ich 2010 in Klagenfurt die Leopold-Wagner-Arena entworfen und gebaut. Aber ein Stadion hat eben andere Parameter zu erfüllen.“, stellt Fux fest. „Zumal mit der 2020 eröffneten „Oberbank Arena“ eine eigene Outdoor-Anlage für Leichtathletik in Linz zur Verfügung steht. Schließlich haben verschiedene Sportarten auch verschiedene Nutzungsprofile, die wiederum verschiedene Arenen benötigen. In England wird da schon lange viel spezialisierter gedacht als bei uns. Dort gibt es nicht nur eine Turnhalle, sondern eben den Gym und die Ballspielhalle, die polysportive Halle oder Anlage wird dort vermieden.“
Die bescheidenen Besucherzahlen bei Leichtathletik oder anderen Sportarten, die nicht das Prestige von Fußball ausstrahlen, verpflichten geradezu, spezifische Anlagen zu entwerfen. Aufgrund der Funktionalisierungstendenzen im Fußball – schließlich geht es längst nicht mehr um einen Platz zum Kicken, sondern um eine hochtechnologische Gesamtkomposition – und auch der von der UEFA geforderten Auflagen, aber auch der Ansprüche der Fans, sind Laufbahnen im Fußballstadion heute schlicht ein Anachronismus. Außerdem: Beziehung entsteht durch Nähe und Fußball ist ein hochemotionales Gemeinschaftserlebnis. Nähe entsteht aber auch zur Umgebung, die behutsam gestaltet werden will.
Eine Herausforderung, die mit der wachsenden Größe eines Gebäudes nämlich immer auch wächst, ist jene nach der guten Nachbarschaft. Das seinerzeitige Gugl-Stadion hat sich gut in die Situation mit den anliegenden Villen hineingeschmiegt. Im Neubau ist die Organisation eines großzügigen Vorfelds und eine respektable Behandlung der Umgebung noch wichtiger für die Planung gewesen. „Damals war die Fassade die Grundgrenze zu den Anrainern. Das war bestimmt nicht angenehm für manche, die da rundum gewohnt haben. Wir hatten die Prämisse, dass wir uns als guter Nachbar entwickeln wollen, so entsteht Akzeptanz“, macht der versierte Architekt anschaulich. „Das Stadion ist ein Knotenpunkt für vielschichtige gesellschaftliche Ereignisse, deshalb muss es mit der Umgebung harmonieren.“
Im Wesentlichen kommt es darauf an, das, was den Stadionbesuch zum Erlebnis macht, im Gebäude zu halten und das Umfeld zu schonen: Das betrifft Geräuschkulissen, Licht und große Menschenansammlungen. Auch die Akustik stellt eine ambivalente Herausforderung dar. „Wir setzen uns im Stadionbau heute intensiv mit dem Thema Inklusion auseinander. Im Jahn-Sportpark in Berlin soll eine Noise-Reduction Box integriert werden. Das ist ein neuer „Trend“, erklärt Fux. „Es soll Bereiche geben, in welchen der Lärm reduziert wird, um dem Bedürfnis bestimmter Besuchergruppen entgegenzukommen. Durch Absorption lässt sich Noise-Reduction erzielen. Es ist empirisch feststellbar, wo sich Schall verstärkt und wo man ihn absorbieren kann. In den Simulationen hat man gesehen, dass die kompakte Bauweise, die den Schall im Kessel und in der Dachstruktur hält, einen großen Vorteil auch für die Umgebung eines Stadions bietet.“
Man hat Fußballstadien schon mit vielem verglichen, sie als moderne Kathedralen oder als Marktplätze bezeichnet. Warum soll man sie nicht auch als Opernhäuser verstehen, wo ein Teil der Chor ist und der andere das ruhige Publikum, das getragen von den Fangesängen andächtig das Spiel verfolgt? „Interessanterweise ist das eine wichtige Strömung im Stadionbau, dass man wieder steiler wird. Selbst historische Stadien steilen durch Renovierung auf“, verweist Fux.
Es ist klar, dass ein Stadion keine einfache Planungsaufgabe ist, so einfach das Ergebnis auch erscheinen mag, es ist entwurfstechnisch, materialtechnisch und bautechnisch eine knifflige Herausforderung. Der so geschaffene Mehrwert kommt auch der Gemeinde zugute. „Wir haben in vielen Stadien die Situation, dass sie die größten anmietbaren Räume bieten, welche die Kommunen haben“, betont der Experte. „Kongresse, Ausstellungen, Präsentationen und Feiern jeder Art gehören zu einem zeitgemäßen Stadion einfach dazu, das wirtschaftlich betrieben werden will.“
In der Raiffeisen Arena wird man sogar heiraten können, dafür sorgt die Kapelle. Dass das Stadion auch abseits des Ballspiels genutzt wird, verlangt schon die Investition der öffentlichen Hand. Schließlich steuert das Land rund 30 Millionen Euro zur Errichtung bei. Es ist naheliegend, dass die Öffentlichkeit nach überzeugender Amortisation verlangt. Immerhin ist es noch gar nicht so lange her, dass die alte Arena ebenfalls mit öffentlichen Geldern renoviert wurde.
Natürlich ermöglichen die Raumkonzepte adaptive Nutzungen. Heute ist ein Fußballspiel eben auch ein Familienausflug und nicht nur Treffpunkt für Halbstarke. Die Sektoren im Stadion haben unterschiedliche Annehmlichkeiten, die Differenzierung in der Fanszene lässt sich so architektonisch umsetzen. Es gibt 42 Logen, einen zweigeteilten Gastrobereich und einen Businessclub, der sich komplett zur Arena öffnet. Man kann das täglich benutzbare Restaurant aufsuchen, um eine ungewöhnliche Kulisse zu betrachten. Denn schließlich ist das leere Stadion auch ein Blickfang.
Ferner gibt es einen Kidsclub, der einerseits die Beschäftigung der Kinder während eines Spiels ermöglichen kann, aber gleichzeitig als Kindergarten und Bewegungsort für Spieler und Fans von morgen konzipiert ist. So entsteht schon in jungen Jahren eine Bindung zum Klub. Auch die Option der ganzen Familie parallel individuelle Aktivitäten zu verschaffen, macht das moderne Stadion zu einer Mehrzweckarena. Jeder geht seiner Beschäftigung nach und doch ist man nahe beieinander. „Natürlich ist ein Stadion nicht per se der Ort, an welchem sich Kinder wohlfühlen. Dafür ist es zu einschüchternd. Es geht um Wettkampf und Konkurrenz. Allerdings ist es eine wichtige Erfahrung, gemeinsam verlieren zu können oder sich auf ein Ziel einzuschwören“, erläutert der Oberösterreicher.
Von Albert Camus stammt der Satz, „alles, was ich über Moral und Verpflichtungen weiß, verdanke ich dem Fußball.“ Der Autor von „Die Pest“ hat in der Pandemie ein unerwartetes Revival erlebt. Der Lockdown hat gezeigt, dass Stadien viele gesellschaftliche Aufgaben erfüllen können. So wurde im Happel-Stadion eine Corona-Teststraße eröffnet. „Das wollen wir selbstverständlich nicht mehr wieder erleben müssen, aber es zeigt, dass ohne großen Aufwand Stadien vielseitig genutzt werden können“, vermerkt Fux.
Nachverdichtung ist ökonomisch und ökologisch ein Gebot gesamtgesellschaftlicher Verantwortlichkeit. Der ursprünglich angedachte und vehement kritisierte Standort im Vorort Pichling hätte den Neubau einer umfassenden Infrastruktur erfordert. Im Zentrum von Linz nutzt man die vorhandenen Straßennetze, die Anbindung an den öffentlichen Verkehr, die Leitungssysteme, von der Kanalisation bis hin zu modernen Datenleitungen, die bei einem Stadion heute unabdingbar sind. Bei internationalen Spielen wird die Sportstätte schließlich zum Medienzentrum. „Ich werde nicht müde zu betonen, wie wichtig die intelligente Nachverdichtung ist“, plädiert Fux für den Return-on-Investment für die Stadt. „Wir müssen bestehende Situationen so anpassen, dass sie nachhaltig wirksam sind. Bei allem Geld, das ausgegeben wird, spart man auch, denn ich löse mit einem bestehenden Standort keine Folgekosten in der kommunalen Versorgung aus. In Italien und Spanien kann man feststellen, dass Stadien urbane Katalysatoren sind und zum Stadtwachstum beigetragen haben. Oft waren an der Peripherie errichtete Stadien bald von der Stadt eingemeindet. Wir wollen die gewachsenen Zentren so optimal wie möglich nutzen.“
Erleichtert wird dies auch durch in das Stadiondach integrierte LED-Technik. Früher haben energie- und materialintensive Flutlichtmasten zuweilen viel Licht in die Stadionumgebung verteilt. Das war für die Anrainerschaft nicht nur störend, sondern bedeutete eine Verschwendung, die sich heute einfach verbietet. Mit der LED-Technik hat man eine variable Lux-Anzahl, die zudem kaum Blendungsgefahr auslöst. Aber wieder zeigt sich eine Balance, die ein Stadionbetreiber zu finden hat: Will man mehr beleuchten, weil die Übertragungstechnik einen dazu verleitet oder achtet man auf kluge Beleuchtung und möglichst ökologisch sinnvoll genutzte Lichtquellen?
Die Stromerzeugung erfolgt gemeinsam mit der Energie AG autark über Photovoltaik-Anlagen auf den Dachflächen. Dank eines weiteren LASK-Partners, der BWT, werden wiederverwertbare Trinkflaschen und Becher ausgegeben und somit das Stadion „bottlefree“.
Eine ebenfalls wesentliche Komponente ist der Wind. „Alle Stadien werden im Windkanal getestet. Das ist heute Usus“, führt Fux aus. „Man prüft die Form und achtet darauf, dass sowohl Unter- als auch Überdimensionierung ausgeschlossen sind. Belüftung und Bewindung sind für die Rasenqualität entscheidend. In der Münchner Allianz Arena ist das bei der Errichtung suboptimal gelaufen, da hatte man eine große Eingrabung. Wenn man dann große Ventilatoren einsetzen muss, um das Rasenwachstum zu fördern, begeht man einen energietechnischen Fauxpas.“
Es ist eine besondere Crux, denn schließlich sind sowohl die Besucher wie die Spieler froh, wenn es wenig Wind gibt. Der legendäre Rapid-Spieler Gerhard Hanappi war in seiner zweiten Karriere Architekt und plante das ehemalige, nach ihm benannte Rapid-Stadion in Hütteldorf. Doch der Bauherr, die Stadt Wien, drehte den ursprünglichen Entwurf und bot dem über das Wiental einströmenden Luftzug freie Bahn in das Stadion. Deshalb „spielte der Wind dort gegen den Ball“. Bei besonders starkem Wind konnte ein Abstoß des Torhüters schon mal in der Luft stehenbleiben.
Intelligente Bauweise bedeutet auch low-tec und die natürlichen Bedingungen bestmöglich in den Stadionbau zu integrieren. „Gerade durch die gegenwärtig angespannte Energiethematik kann ein Verein kaum aufwändige Beleuchtungs- und Bewindungsmaschinen betreiben“, diagnostiziert Fux. „Ich nehme etwa bei Rapid Wien in deren Allianz Stadion wahr, dass die Lichtanlagen weniger aufgedreht sind. Da sind Kosten entstanden, die massiv ins Gewicht fallen… Der Betreiber muss abwiegen, verbraucht er mehr Strom oder tauscht er den Rasen aus.“
Ob ein Rasen gewechselt werden muss, hängt von vielen Faktoren ab. Manchmal erfordert sogar ein Pilzbefall den Tausch. In einem Fußballverein ist eben vom Trainer bis zum Platzwart jeder für die gedeihliche Entwicklung zuständig. Auf die Langlebigkeit des Stadions hat Raumkunst besonders geachtet. „Ich bin durchaus auf der Immobilien-Seite“, zeigt sich Fux seiner Verantwortung für einen langen Lebenszyklus bewusst. „Das ist ein sehr wertvoller Grund. Es wäre ein Fehler gewesen, zu klein zu planen oder auf geringwertige Materialien zu setzen, um einen kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen. Bei vielen bestehenden Stadiondächern ist die Lebenserwartung zudem mit 20 bis 30 Jahren sehr gering. Die U-förmigen Tassen unserer Dachkonstruktion können zweimal aufgemacht und neu verbunden werden. Da sind 70 Jahre Nutzungsdauer realistisch.“ Schließlich soll die Raiffeisen Arena für Jahrzehnte Schauplatz sportlicher wie wirtschaftlicher Erfolge des LASK sein – da braucht es ein verlässliches Dach über dem Kopf.
KRITIK AN FÖRDERUNGSHÖHE
Der oberösterreichische Landesrechnungshof hat im Frühjahr 2022 Kritik am Sport-Infrastrukturpaket mit der LASK-Arena und dem Donauparkstadion formuliert. In einer PR-Aussendung vom 23. März 2022 wurde betont, dass aus Sicht des Steuerzahlers günstigere Lösungen nicht ernsthaft in Erwägung gezogen wurden. Zumal mit dem neuen Stadion für den Konkurrenzklub FC Blau Weiß Linz – dem Donauparkstadion – ebenfalls eine Arena mit öffentlicher Förderung errichtet wird (Eröffnung im Sommer 2023).
„Über Mehrjahresverpflichtungen und offene Förderungsvolumina sollte das Land OÖ den Oö. Landtag aussagekräftig und transparent informieren“, beklagt LRH-Direktor Friedrich Pammer. „In dieses Projekt fließen bis zu 29,2 Millionen Euro Förderungsmittel aus dem Steuertopf des Landes.“ Die Förderung ist das Ergebnis politischer Gespräche des Landes OÖ mit der Stadt Linz und dem LASK. Vereinbart wurde dabei auch eine Landesförderung von maximal 3 Millionen Euro für das „Donauparkstadion“ des FC Blau Weiß Linz. „Dass keine Alternativen überlegt wurde, sehen wir kritisch. Eine gemeinsame Nutzung durch den LASK und Blau Weiß Linz, wie sie international durchaus vorkommt, hätte Mehrkosten für die Steuerzahler gespart“, so Pammer. Auf Rückfrage von a3 Bau hält der oberösterreichische Landesrechnungshof an dieser Kritik auch 2023 fest.